Unser zweites Jahr der Rehkitzrettung auf Gut Temmen

Naturkreisläufe, Landwirtschaft und Tierwohl – alledem mit Achtsamkeit und Verantwortungsbewusstheit zu begegnen, das ist unser kontinuierliches Bestreben als Biobetrieb. Und auch wenn uns klimatische Veränderungen viel Flexibilität abverlangen, so gibt es doch glücklicherweise konstant bleibende jahreszeitliche Abläufe, auf welche wir uns gut vorbereiten können. Und dazu gehört im späteren Frühjahr auch die Geburt und Ablage von Rehkitzen und Dammwildkälbern in unseren hochbewachsenen, Schutz gebenden Flächen. Auf ca. 820 ha Ackerland und knapp 230 ha Grünland gab es auch in diesem Jahr genug Raum für gute „Verstecke“, die von den Ricken als „sichere“ Liegeplätze für ihre Jungtiere ausgewählt wurden.

…Wäre da nicht die jährliche, parallel zu diesem Zeitpunkt stattfindende (Erst)Mahd! Um die häufig noch hilflosen Kitze vor den großen Mähern zu sichern, braucht es immer wieder beherzte Hilfe von Menschenhand. Gerade weil sich Rehkitze aufgrund ihres „Drückinstinktes“ eher an den Boden schmiegen als wegzurennen.

In der Morgendämmerung des 5. Juni startete also in diesem Jahr unsere Rehkitzrettungs-Aktion auf den Ackerlandflächen, die fürs Silieren bestimmt waren. Wie bereits im Vorjahr kamen Teams von motivierten freiwilligen Helfer*Innen und Jägern zusammen, um diese auf vielen Ebenen bereichernde Aufgabe zu unterstützen. Täglich um 4 Uhr morgens, wenn der Boden noch kühl war, wurde sich auf dem jeweiligen Schlag getroffen, der später am Tag gemäht werden sollte. In den teilweise bis zu 60 ha großen Ackerlandflächen hatten Traktorfahrer bereits dankenderweise einige Schneisen vorgemäht, die zu besserer Orientierung und leichterem Erreichen der Liegeplätze verhalfen…denn das Gras reichte oft über Schulterhöhe hinaus.

Worte können diese Naturerfahrung mit ausklingendem Mondlicht und stillem Sonnenaufgang über den Feldern nur teilweise erfassen. In diesen Morgenstunden wandelte sich eventuelle Müdigkeit in Fokusiertheit, getragen von einem wunderbaren Gemeinschaftssinn aller Helfenden. Manche waren täglich dabei, andere koordiniert an einem Morgen, eine Gruppe enthusiastische Kinder und deren Eltern halfen am Wochenende, und einige Jäger unterstützten die Aktion mit tiefster Selbstverständlichkeit.

Auch wenn es natürlich schöner wäre, wenn Ricken und Kitze ihre ersten gemeinsamen Wochen ungestört verleben könnten, so sind die realen Gegebenheiten doch meistens andere. Umso wichtiger also, uns nicht nur im Nehmen, sondern auch im Geben zu üben. Und der Moment, ein Kitz oder manchmal auch Zwillinge sanft zu sichern, war stets erfüllt von Freude, entspanntem Aufatmen und einer gewissen Dankbarkeit. Manchmal auch von Überraschung, wenn eine Rotte Wildschweine mit Überläufern ganz in der Nähe zu hören war, Dachse oder Füchse ganz flink durchs Gras stobten oder einige schon sehr mobile Rehkitze galant davonsprangen.

Durch eine mit Wärmebildkamera ausgestattete Drohne wird ein Liegeplatz erkannt und in Fokus genommen. Ein Team lässt sich vom Drohnenpiloten weisen und nähert sich ganz sachte mit einer von Gras gefüllten Box und einer Deckelbox (Bau Eigenkreation). …Und wird dabei oft pitschnass vom Morgentau… Um so wenig wie möglich des fremdartigen  menschlichen Geruches einzubringen, werden Handschuhe getragen und mit ein paar Grasstängeln besetzt, sodass die Ricken ihre Kitze auch später weiterhin versorgen. Befindet sich der Liegeplatz mitten im Feld, bleibt die Kiste dort und wird mit hohem, sichtbaren roten Fähnchen gekennzeichnet, um die herum sich leicht mähen lässt. Bei näher am Feldrand befindlichen Liegeplätzen werden Kitz und Kiste sorgsam ganz aus dem Feld geholt, abgelegt und mit Fähnchen versehen. Und nachdem dann der später am Tag stattfindende Mähprozess beendet ist, werden alle Kisten entfernt und es dauert nicht lange, bis Ricken und Kitze wieder vereint sind.

Dass dieser praktische Prozess so reibungslos vonstatten ging, spricht natürlich von Vorkenntnissen. Bereits 2019 wandte sich einer der Geschäftsführer des Gutes an den Verein „Rehkitzrettung Brandenburg e.V.“, um Unterstützung für seine privaten Flächen zu erhalten. Dem folgte sein eigener mehrjähriger Lernprozess und Anfang 2022 die Entscheidung, selbst den Drohnenführerschein zu machen und die entsprechende Drohnentechnik zu erwerben. Und somit war gleichzeitig der Grundstein für die Gut Temmener Rehkitzrettungs-Aktion gelegt, …hab vielen Dank, Konstantin!

Dass diese auch im zweiten Jahr als Herzenssache verstanden wurde, zeigte die erneute Unterstützung vieler freiwilliger Helfer*Innen, die dazu beitrugen, dass bei Mahd-Abschluss der Ackerflächen am 19. Juni mehr als 60 Rehkitze und Dammwildkälber gesichert wurden. Wunderbar!

Ein großes Dankeschön an alle Frühaufsteher*Innen, alle Mithelfende, alle Naturfreund*Innen! Möge solch gemeinschaftliches „am gleichen Strang ziehen“ weite Wellen schlagen.

…Wetterbedingt konnten die Grünlandflächen bisher noch nicht gemäht werden. Sicher zur Freude aller, der Kitze, die jetzt wohl alle mobil sind sowie den von Schlafentzug geprägten Helfer*Innen.

Gut Temmen, 27. Juni 2023