Mob Grazing

Wie in so vielen Regionen machen zunehmende, langanhaltende sommerliche Dürreperioden sowie volatilere Starkregen in den kühleren Monaten auch hier auf Gut Temmen nicht Halt. So begannen wir bereits 2015, unsere bisherige Art der Beweidung zu überdenken, denn die durch Trockenheit geringer ausfallenden Erträge im Ackerfutter drohten auch eine verstärkte Zufütterung unserer Rinder einzufordern. Intensive Recherchen sinnvoller Alternativen, um den sich vermehrenden Trockenzeiten standzuhalten, führten uns anfänglich erst einmal zur Verkleinerung bestehender Parzellen. Somit wurde das durch unsere Rinder vorgenommene Selektieren verringert und gleichzeitig den Pflanzen und Flächen eine erhöhte Schonzeit eingeräumt.

Wenig später, im Sommer 2017, kam es dann für uns zur „Initialzündung“, als Greg Judy, ein „Pionier“ auf diesem Gebiet, im Rahmen einer Deutschlandreise das Gut Temmen besuchte. Er ermutigte uns letztlich zu einer von der Natur vorgelebten Art des Weidemanagements. Die als „mob grazing“ bezeichnete Strategie wurde bereits in Kanada, Australien und Amerika angewandt und erwies sich als eine natürliche Weiterführung unserer eigenen Neuversuche. Fünf Jahre später, 2022, hielt Judy auf unserem Feldtag ein Experten-Seminar zum Thema „Mob grazing als ertragsstabilisierende Weidestrategie“ und gab uns bei der Besichtigung unserer Flächen weitere praktische Tipps. Nun ist diese Methode, für die wir auch die entsprechenden betriebsstrukturellen Anpassungen getroffen haben, bereits seit mehreren Jahren ein wichtiger Grundpfeiler unserer ganzheitlichen Arbeitsphilosophie.

Im Zuge all dessen meldete im Frühjahr 2020 die Berliner „Gesellschaft zur Förderung einer regenerativen Agrikultur – Klimapraxis“ ihr Interesse an unserem Anwenden der neuen Beweidungsstrategie an. So wurde der Grundstein gelegt, als Praxisbetrieb am EIP-Forschungsprojekt „Mob grazing im Ackerfutterbau“, das die Weidestrategie erstmalig im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich untersucht, mitzuwirken. Ziel ist es herauszufinden, ob Rinderhaltung auf Ackerflächen eine Lösung für trockenheitsgefährdete Gebiete sein kann, indem durch mehrjährigen Feldfutterbau die Fruchtbarkeit und Resilienz von Ackerböden nachhaltig erhöht wird. Im Herbst 2021 gab es den offiziellen Start dafür, welchem nun jährliche Versuchsauswertungen zu Boden- und Vegetationsdaten und somit zu unserer Kenntniserweiterung folgen.

Was verbirgt sich nun hinter „mob grazing“ und wie setzen wir es praktisch um?

Vereinfacht übersetzt als „im Herdenverbund grasen“ beschreibt dies die natürliche Lebensweise von Wildtier-Herden in naturbelassenen Trockengebieten, wie z.B. Afrika und Nordamerika. Es geht also um ein Nachahmen dieses nativen Weideverhaltens.

Da es mittlerweile verschiedene Begriffe sowie Definitionen gibt, die ähnlichartige Prozesse beschreiben, verweisen wir gern auf die Webseite https://www.mob-grazing.de/ sowie Manuel Winters Webseite Change Grazing .

Die von uns praktizierten Grundwerte des „mob grazing“ sind:

  • eine hohe Tierbesatzdichte im Zusammenhang mit einer
  • kurzen Beweidungsdauer,
  • lange Rastzeit zur Erholung der Pflanzen und für einen hohen Aufwuchs dieser
  • sowie ein verringerter Pflanzenabbiss, der letztlich zu einer Mulchschicht durch die niedergetrampelten Pflanzenrückstände führt und somit den Boden schützt.

Seit 2019 ist „mob-grazing“ auf unserem Standort „Stegelitz“ fester Bestandteil des Weidemanagements. In der Praxis bedeutete das anfänglich, unsere Flächen noch weiter zu verkleinern, vielzählige kleine Rinderherden zu wenigen großen zusammen zu führen und diese noch öfter umzustellen. Im Jahr 2022 arbeiteten wir dann ergebnisreich auf zwei unserer Standorte mit Besatzdichten von bis zu 300 Kühen. Schnelle erste Erfolge sahen wir vor allem im Entgegenwirken von selektivem Verbiss, Lücken im Bestand und potentiellen Schadennehmen besonders leckerer Pflanzen. Neben dem Luzernegras, welches wir vorrangig im Ackerfutterbau nutzen und das es nicht mag, stark verbissen zu werden, achten wir allgemein auf ein gutes Gemisch von Gräsern, Tiefwurzlern, Klee sowie Wildkräutern, die unseren Rindern einen ausgeglichenen Protein-und Energie-Faktor bieten. Recherchen, Ausprobieren und verschiedene fachkundlich begleitete Aussaatversuche sind auch hier integraler Bestandteil unseres Konzepts.

Was verstehen wir unter „kurzem Grasen auf kleinen Flächen“?

Dies bedeutet für uns in der Praxis, entsprechend der Jahreszeit, das Beweiden durch die Rinderherde in einer Zeitspanne zwischen 6-24 Stunden. Hierbei ist es vor allem der Aufwuchs, der entscheidend dafür ist, wie oft wir unsere Rinder umstellen und was erreicht werden möchte. So kann dieser schon mal eine Höhe von über 1 Meter aufweisen.

Und die Mulchschicht?

Die nach dem „Heruntertrampeln“ natürlich entstehende Mulchschicht, vermischt mit Tierdung, erschafft eine Bedeckung unserer Böden. Dabei wirkt sie beschattend und hilft gegen Boden- sowie Winderosion. Außerdem kann sie extra Schutz vor Hitze im Sommer und im Winter vor Kälte bieten. Ebenfalls erkennbar ist, dass unsere Böden ein größeres Potenzial zur Wasserspeicherung haben und somit weniger schnell austrocknen. So haben es ein Großteil unserer Böden geschafft, den Starkregen der letzten Jahre aufzunehmen. Auch kommt es mit Hilfe der Mulchschicht zu größeren Futtermengen in den Trockenperioden, da dank dieser feuchten Bedeckung Pflanzen weiter wachsen können, auch wenn es länger nicht regnet. Unsere Erfahrungen bestätigen auch, dass diese gute Nährstoffquelle ein intakteres Bodenleben unterstützt. Wichtig bei alledem ist die stete Abstimmung von Pflanzenbestand und Weidemanagement.

Und das häufige Umtreiben der Rinder? 

Hierzu gehört einerseits die Nutzung von speziellen Zäunen aus leichtem Material, die täglich einfach umstellbar sind und wobei Rückzäune bis zu drei Tagen stehen bleiben. Auch kommen spezielle, leichter transportierbare Wassertröge zum Einsatz. Zum Anderen geht es aber vor allem um eine respektvolle Kommunikation mit den Tieren. „Low sress stockmanship“ ist bei uns ein Grundverständnis und geht Hand in Hand mit „mob grazing“. Die Rinder haben stets genug zu fressen und müssen nicht in Konkurrenz miteinander treten.

Unser bisheriges Fazit?

„Mob grazing“ braucht also ein kontinuierliches Beobachten und daraus resultierendes, den jeweiligen aktuell gegebenen Bedingungen angepasstes Vorgehen. Die hiesigen Verhältnisse müssen beachtet werden, Versuche gemacht, betreut und dokumentiert werden. Um unsere Vision von Tierwohl, Biodiversität & Nachhaltigkeit zu leben, haben wir gelernt, dass zur Planung auch das „Im -Moment -Entscheiden“ gehört und vieles auf dem Prinzip „mehr lassen als nehmen“ beruht. „Mob grazing“ wird von uns also nicht als ein festes Muster, sondern als eine variable, unterstützende Strategie verstanden, deren Vorteile sich aus vielen kleinen Aspekten zusammensetzen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Summe dieser ganzheitlich überzeugt.

Wichtig für uns ist bei allem die Möglichkeit der flexiblen Planung, sodass Beweidung an individuelle Bedürfnisse angepasst werden kann, auch unter Berücksichtigung gegebener ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte. Es ist wesentlich, stets auf den Bestand zu schauen und dann erst zu entscheiden, welche Beweidungsart am besten passt, um Über- als auch Unterbeweidung zu vermeiden. Wenn also der Aufwuchs auf Grund von Pflanzenbestand und Witterung hoch genug ist, besteht eine gute Chance in den Boden zu investieren.

Was gehört bisher zu den von uns wahrgenommenen positiven Aspekten?

Rinder: 

  • eine bessere Verdauung durch geringere Nährstoffschwankungen
  • ein geringerer Fliegen-und Parasitenbefall  sowie
  • gute Tageszunahmen der Schlachttiere
  • Tierärztliche Untersuchungen haben sich verringert und unsere Rinder müssen nur noch alle zwei bis drei Jahre gegen Parasiten behandelt werden
  • sind viel entspannter, haben keinen Futterstress, was eine „innere Ruhe“ in der gesamten Herde mit sich bringt

Futter:

  • stabilere Erträge in Trockenphase
  • Erfolge in verlängertem Frischpflanzenfutter-Zeitrahmen
  • ein erhöhtes mehrjähriges Luzerne-Wachtumspotential
  • kein Futterzukauf und kein Wettbewerb zur Nahrungsquelle für uns Menschen

Böden: 

  • die Wasserspeicherfähigkeit hat sich erhöht
  • es kommt zu rascherer Versickerung bei Starkregen
  • es gibt weichere, lockere Böden mit verbessertem Bodenleben

Arbeitsaufwand und Nutzen stehen für uns im guten Verhältnis und führen zu einer allgemeinen Zufriedenheit.

Bei Interesse finden Sie weitere detaillierte Informationen zu dem Projekt und der Weidestrategie unter

https://www.mob-grazing.de/.